Wer das Darknet ermöglicht, könnte bald Straftäter sein – Seite 1

Drei Jahre Ermittlungen, vier Verurteilungen, eine Tauschbörse für Kinderpornos weniger: Vergangene Woche endete der Prozess um die Plattform Elysium mit hohen Haftstrafen für die Angeklagten. Die aus einer Werkstatt im hessischen Bad Camberg betriebene Plattform war mit mehr als 80.000 Mitgliedern eine der weltweit beliebtesten Anlaufstellen für Bilder und Videos sexualisierter Gewalt gegen Kinder im  Darknet – einem Teil des Internets, der nur über spezielle Software wie den Tor-Browser besucht werden kann.

Elysium ist am Ende, das ist ein Erfolg für die Polizei. Für die deutschen Sicherheitspolitiker soll das aber erst der Anfang sein. Sie wollen dafür sorgen, dass die Betreiber von Plattformen, auf denen illegale Inhalte wie Kinderpornografie, Drogen und Waffen verkauft und getauscht werden, künftig härter bestraft werden. Am heutigen Freitag diskutiert der Bundesrat deshalb über eine Ergänzung des Strafgesetzbuchs. Aktivisten und Juristen warnen bereits davor, das Darknet unter einen Generalverdacht zu stellen und damit einen sicheren Kommunikationsweg zu gefährden.

Mit dem Gesetzentwurf, den der nordrhein-westfälische Justizminister Peter Biesenbach (CDU) auf den Weg gebracht hat, soll ein neuer Strafbestand eingeführt werden. Mit bis zu drei Jahren Haft soll bestraft werden, "wer eine internetbasierte Leistung, deren Zugang und Erreichbarkeit durch besondere technische Vorkehrungen beschränkt ist, anbietet und deren Zweck oder Tätigkeit darauf gerichtet ist, bestimmte rechtswidrige Taten zu begehen oder zu fördern". Wer eine gewerbliche Plattform betreibt, dem sollen sogar bis zu zehn Jahren Haft drohen.

Das "Erleichtern von Straftaten" im Darknet soll strafbar sein

Damit haben es die Politiker vor allem auf die Administratoren von Darknet-Plattformen abgesehen, auf denen illegale Inhalte gehandelt werden. Die Betreiber lassen sich aufgrund der technischen Besonderheiten des Tor-Netzwerks, in dem die anonymen Nutzerinnen und Plattformen nicht durch einzelne IP-Adressen zu identifizieren sind, ohnehin schwer ausfindig machen. Und falls doch, dann ziehen sie sich darauf zurück, selbst nicht am Handel teilgenommen zu haben: Sie hätten bloß die Infrastruktur bereitgestellt, aber nicht gewusst, dass in ihrem Forum Waffen oder Kinderpornos verkauft wurden, heißt es dann.

Durch die Gesetzesänderung würde es leichter, die Betreiber zumindest wegen Beihilfe zu einer Straftat zu verurteilen. In besonders schweren Verdachtsfällen sollen die Ermittler auch Telefongespräche, E-Mails oder den Internetverkehr von Verdächtigen überwachen können – sofern ein Richter oder eine Richterin zustimmt. Das sei für eine "effektive Verfolgung von mittels internetbasierter Kommunikation begangener Taten" notwendig, heißt es im Antrag für die Gesetzesänderung.

Der Vorschlag aus NRW mag scharf sein, einigen ist er aber noch nicht scharf genug. Das geht aus den Änderungen hervor, die der federführende Innen- und Rechtsausschuss des Bundesrats einbringt. Dessen Mitglieder fordern die Erhöhung der maximalen Haftstrafe von drei auf fünf Jahre. Es soll nicht nur bestraft werden, wer Darknet-Dienste mit illegalen Inhalten "anbietet", sondern wer diese "zugänglich macht". Gleichzeitig soll bereits das "Erleichtern von Straftaten" als zusätzlicher Tatbestand aufgeführt werden.

Warnung vor böswilliger Auslegung der Paragrafen

Was nach Erbsenzählerei klingt, könnte in der Praxis schwerwiegende Folgen haben. Denn was genau bedeutet eigentlich "Erleichtern" in diesem Fall?

Um die Frage zu beantworten, muss man zunächst das Tor-Netzwerk erklären. Es besteht wie eine Zwiebel aus mehreren Schichten, deshalb auch der Name: The Onion Router. Wer sich darüber einloggt, landet zunächst in der äußersten Schicht. Nach und nach wird der zusätzlich verschlüsselte Datenverkehr über weitere Schichten und sogenannte Knotenpunkte (Relays) gelenkt – und damit seine genaue Herkunft verschleiert. Diese Knotenpunkte bilden das Rückgrat des Tor-Netzwerkes und die Server werden weltweit von Organisationen, Universitäten, Vereinen oder Freiwilligen zur Verfügung gestellt.

Würde man die geplante Gesetzesänderung "böswillig auslegen", könnten sich bereits alle Menschen strafbar machen, die einen Tor-Knoten betreiben, sagt der Mainzer Juraprofessor Matthias Bäcker im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Denn damit würden sie ja auch den Zugang zu illegalen Inhalten erleichtern. Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Club, sagte gegenüber netzpolitik.org: "Der Gesetzentwurf enthält vorwiegend Gummiparagraphen, die das klare Ziel haben, Betreiber und Nutzer von Anonymisierungsdiensten zu kriminalisieren. Absichtlich werden die Tatbestände äußerst unscharf gehalten."

Ein "existenzielles Risiko" für Tor-Knotenbetreiber

Nach Ansicht von Matthias Bäcker und dem Berliner Richter Ulf Buermeyer gebe es gar keine Gründe für eine Gesetzesverschärfung. Es gebe bereits ausreichende Strafnormen für den Handel mit Drogen, Waffen oder Kinderpornografie und diese gelten natürlich auch für Angebote im Darknet. Dass die Strafverfolgung funktioniert, hat ja der jüngste Fall von Elysium gezeigt. "Der Gesetzentwurf beinhaltet ein großes Risiko, völlig unproblematisches Verhalten unter Strafe zu stellen. Er schafft enorme Risiken für Menschen, die Internetplattformen betreiben", sagte Buermeyer, der auch Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheitsrechte ist, dem Deutschlandfunk.

Ähnlich sieht das Jens Kubieziel. Er ist Vorstandsmitglied des Vereins Zwiebelfreunde, der sich für vertrauliche Kommunikation und das Tor-Netzwerk einsetzt. "Ich habe mit mehreren Juristen gesprochen und fast alle sind der Meinung, dass die Gesetzesänderung auch die Relay-Betreiber betreffen könnte", sagt er im Gespräch mit ZEIT ONLINE.

Kubieziel berät Menschen, die darüber nachdenken, einen Tor-Knoten einzurichten. Schon jetzt seien gerade die deutschen Nutzer unsicher bezüglich der Rechtslage. Er sage ihnen immer, man könne nicht ausschließen, von Strafverfolgern ins Visier genommen werden. Er spricht aus eigener Erfahrung; vergangenes Jahr wurde sein Haus durchsucht, Festplatten und Telefone beschlagnahmt. Die stark kritisierte Aktion hatte nichts mit illegalen Inhalten zu tun, sondern mit einer fadenscheinigen Verbindung der Zwiebelfreunde zu einem E-Mail-Anbieter. Deshalb habe er seinen Tor-Knoten daraufhin auch nicht abgeschaltet, sagt Kubieziel.

Sollte der nun geplante Gesetzentwurf durchkommen, könnte sich das ändern. "Wir reden hier im schlimmsten Fall von mehrjährigen Haftstrafen, da geht es um ein existenzielles Risiko", sagt Kubieziel. Da müsse man schon genau überlegen, ob man als Knotenbetreiber dieses Risiko eingehen möchte. Selbst wenn, wie er betont, jene illegalen Inhalte, die in der Öffentlichkeit als Darknet bezeichnet werden, nur einen Bruchteil des gesamten Tor-Netzwerks ausmachen.

Abschreckungsmanöver für die Betreiber von Tor-Knoten

Kubiziel sieht in dem Vorstoß vor allem eine Abschreckungsmaßnahme, gefördert durch technisches Unverständnis, wie er es in den vergangenen Jahren immer wieder bei Vertretern von Polizei und Politik erlebt habe. Tatsächlich gibt es regelmäßig Forderungen, etwas gegen das Darknet zu unternehmen. Spätestens als 2016 bekannt wurde, dass der Attentäter von München seine Tatwaffe im Darknet erwarb, verschärfte sich auch die Rhetorik. Die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann sprach damals von "Inseln der Rechtlosigkeit".

Vor einigen Wochen forderte Günter Krings, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, auf dem Europäischen Polizeikongress sogar ein komplettes Verbot des Darknets in Deutschland: "Ich verstehe, warum das Darknet einen Nutzen in autokratischen Systemen haben kann", sagte Krings, "aber in einer freien, offenen Demokratie gibt es meiner Meinung nach keinen legitimen Nutzen."

Abgesehen davon, dass sich das Darknet beziehungsweise das Tor-Netzwerk nicht einfach verbieten oder abschalten lässt, weil es eben über viele Server weltweit läuft, ist diese Aussage realitätsfern. Zwar gibt es im Darknet illegale Plattformen, ebenso wie im offenen Internet, das Tor-Netzwerk wird aber ebenfalls von Whistleblowern, von Dissidenten oder einfach von Menschen genutzt, die sicher kommunizieren möchten. Eine der beliebtesten Seiten im Tor-Netzwerk ist etwa die Login-Seite von Facebook.

Alle Tor-Nutzer unter Generalverdacht zu stellen und anzunehmen, sie hätten etwas zu verbergen, ist aus der Sicht von Aktivisten wie Jens Kubieziel der falsche Weg. Zu den geplanten Gesetzesverschärfungen hat er deshalb eine klare Meinung: "Das ist ein Angriff auf die Kommunikationsfreiheit."